Ein „totaler Aufnahmenfreak“ sei sie, erklärt Regula Mühlemann, bevor das Gespräch beginnt. Außerdem hätte sie ein ganz gutes Ohr für Stimmen. Das sind schon mal gute Voraussetzungen für das „Blind gehört“-Interview. Vor Kurzem veröffentlichte die Schweizer Sopranistin zusammen mit dem La Folia Barockorchester das Album „Cleopatra“.

„Don Giovanni“, das ist schon mal klar. Aber ich höre nicht heraus, welche Stimmen das sind. Es handelt sich aber um eine ältere Aufnahme, oder? – 1936?! Dann verstehe ich, warum ich die Stimmen nicht erkenne, denn die Aufnahmen aus dieser Zeit sind mir noch nicht so vertraut. Aber es ist ein Feld, dass ich auf jeden Fall noch entdecken werde. Auch wenn ich nicht weiß, um welche Stimmen es sich handelt: Ich finde es sehr geschmackvoll gesungen – auch der Don Giovanni, der ja manchmal wie ein Vorschlaghammer daherkommt (lacht und hört weiter). Ja, wirklich sehr geschmackvoll, da kann man sich sehr gut vorstellen, dass sich die Zerlina da nur allzu gern von ihm umgarnen lässt. Auch die Zerlina ist sehr schön: schüchtern und doch ein wenig kokett, das gefällt mir sehr gut! Mozart hat die Zerlina ja im Vergleich zu einer Susanna aus dem Figaro ein bisschen, nun ja, einfacher angelegt, aber auch das als Sängerin zu interpretieren, hat einen ganz besonderen Reiz.

Die Barbara, meine Gesangsprofessorin! Diese Stimme erkenne ich sofort … Diese tolle Technik – diese jugendliche Stimme! Wir hatten in der Schule ein Fach, in dem wir manchmal Aufnahmen erkennen mussten, und ich habe eigentlich fast immer alle Sänger herausgefunden, weil ich mir das Timbre eines Sängers sehr gut merken konnte. Aber gut, in diesem Fall erkenne ich die Stimme natürlich deshalb, weil ich ein- bis zweimal in der Woche bei ihr Unterricht hatte und die Barbara-Technik und -Stimme in- und auswendig kenne! Ich kann ehrlich gesagt nicht genau sagen, welcher Komponist das ist, aber eigentlich müsste das Telemann sein. – Sein „Passionsoratorium“? Ich wusste gar nicht, dass sie davon eine Aufnahme gemacht hat. Ist das eine alte Aufnahme? Zwar bin ich kein leidenschaftlicher Telemann-Fan, aber diese Musik ist wirklich schön. Lassen Sie uns nochmal kurz zuhören … Doch, das ist wirklich eine tolle Arie, die könnte ich mir mal anschauen!

Ah, Bellini! „Per pietà, bell’idol mio“ habe ich in der Ausbildung gesungen, die mussten wir alle als Vorstufe zur Arie lernen. Die Stimme gehört der Tebaldi, oder? Eine großartige Sängerin! Also, ich mag ihre Stimme ja sehr, aber ich finde, für dieses „einfache“ Stück ist das Timbre ein bisschen zu metallisch. Ich weiß, ich wage mich da gerade sehr weit vor, aber bei den großen Partien finde ich ihre Stimme passender als bei diesem Lied. Aber natürlich ist das absolut Geschmackssache.

Das ist René Jacobs! Ich kenne die Aufnahme von Haydns „Die Schöpfung“ mit Julia Kleiter, die hat den gleichen Charakter wie hier die „Jahreszeiten“: Dieses Rhythmische und Akzentuierte, so dass man das Orchester sofort wahrnimmt, das ist typisch Jacobs. Oft ist das Orchester lediglich die Begleitung, aber bei ihm habe ich immer das Gefühl, dass es wie ein zweites, gleichberechtigtes Instrument ist. Zuerst dachte ich, dass es wieder Kleiters Stimme ist, aber es müsste die Marlis Petersen sein … Aber diese Farbigkeit, diese Stimme und erst die Technik – also, sie lebt die Arie total aus. Und das Orchester gibt ihr die Möglichkeit, wirklich alle Register zu ziehen in dieser, ich sag mal: Labung für die Sinne. Toll, gefällt mir richtig gut!

Mit ihm habe ich gerade in Genf gesungen, mit Ildebrando [d’Arcangelo, d. Red.]! Ach, und jetzt noch die Netrebko … Doch, diese Aufnahme kenne ich – mit Lawrence Brownley und Joyce DiDonato, oder? Joyce hätte ich zugegebenermaßen nicht erkannt, wenn ich diese Aufnahme mit Pappano zum ersten Mal gehört hätte. Es dirigiert doch Pappano, oder? Ich kenne die Aufnahme, weil ich das Werk schon mal gesungen habe, und da höre ich mir immer alles Mögliche an. Ich finde die Aufnahme auch deshalb so spannend, weil diese Nummer oft vom Chor gesungen wird. Das nun solistisch zu besetzen finde ich total interessant. Trotzdem bin mir noch immer nicht ganz sicher, wie ich diese Aufnahme finde. Natürlich sind das alles absolute Luxusstimmen, aber vielleicht klingt es gerade deshalb auch zu wenig homogen.

Natalie Dessay, ganz klar! Dieses Timbre kann nur sie haben. Das zu beschreiben ist echt schwierig. Es ist die Vibration, die Luft auf der Stimme, wie sie den Vokal formt und was im weichen Gaumen- oder Gaumensegelbereich passiert. Das ist so typisch Dessay! Und wie sie die hohen Töne angeht! Ich wusste nicht, dass sie Schubert aufgenommen hat. Ach, die CD erschien erst in diesem Jahr? Eigentlich ist das Lied ein großes Crescendo: Es explodiert fast, dann geht’s wieder zurück, um dann auf den Höhepunkt zu kommen.

Vooo-laaa-reee! Ich bin ein großer Fan von Jonas Kaufmann! Aber „Volare“ … Da bin ich dann schon eher traditionell orientiert und mag einfach dieses, naja, dieses Raue. Hier ist es halt für mich ein bisschen zu glatt und auch ein bisschen zu romantisch. Aber stimmlich finde ich es einfach toll. Die CD interessiert mich, denn ich finde das „Volare“ wirklich sehr gut gemacht. Es ist bewusst entfernt von Original. Ich selbst würde so ein Album nicht machen, was aber mit meinem Gesang zu tun hat: Wenn ich früher Popsongs gesungen habe, dann stets mit einer ganz anderen Stimme, die mit meiner klassischen Färbung nichts mehr zu tun hatte.

Natürlich! Juliane Banse. Mit ihr habe ich den Freischütz gemacht. Ich finde das eine sehr spannende Aufnahme von Mahlers „Vierter“, weil es ein Tempo ist, das ich bei dieser Arie so nicht kenne: sehr getragen, für meinen Geschmack fast ein bisschen zu langsam, vor allem wenn sie dann vom Tanzen singt und das Tempo doch etwas schwerfällig daherkommt. Ich kann mir vorstellen, dass es ein italienisches Orchester oder zumindest ein italienischer Dirigent ist. Aber ich finde es großartig, wie Juliane diese Phrasen spannt, was bei diesem Tempo alles andere als einfach ist … Das begeistert mich richtig, wie sie diese langen Phrasen bis zum Ende so wunderschön durchzieht. Trotzdem: Ich finde, durch das Tempo geht ein bisschen was von dem Charakter des Satzes verloren. Obwohl natürlich dann diese Stelle bei „Sankt Peter im Himmel sieht zu“ einfach wunderschön ist, wenn es so langsam und frei gehalten ist. Das hat auch was.

Ha, das Hippigschpängschtli, das hat natürlich meine Kindheit geprägt – und nicht nur meine! Der Peter Reber … Ich glaube, um dieses Lied ist kein Kind in meinem Alter herumgekommen. Das hat man in der Schule gelernt, das war ständig im Radio, es wurde von Alt bis Jung von allen gesungen. Ist ja auch ein tolles Lied, total süß! Auch als Erwachsene gefällt es mir noch immer. Vielleicht habe ich es etwas zu oft gehört, als dass ich da nochmal die CD auflegen würde, aber ich bekomme sofort gute Laune, wenn ich das Lied höre. Ja, dieses unbeholfene kleine Gespenst mit seinen Blümchen auf dem Kleid, das niemanden erschrecken kann, weil es einfach zu süß ist.