Vor wenigen Jahren war die Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann noch ein Geheimtipp. Doch inzwischen hat sich die junge Luzernerin international einen Namen gemacht. Wie lautet das Rezept ihres Erfolgs?

Die erste Mail traf aus Philadelphia ein. Zum Gespräch im Hauptbahnhof Zürich kommt die Sängerin direkt aus München, wo sie im Rahmen des Projekts «Der junge Mozart» mit dem Rundfunkorchester aufgetreten ist. Und bereits am Dienstag steht das nächste Konzert bevor: ein Abend mit der Cappella Gabetta in der Zürcher Tonhalle Maag. Über Mangel an Engagements kann Regula Mühlemann wahrlich nicht klagen. «Fast täglich kommen Anfragen per Mail», sagt die Sängerin. Und auch ihre Künstleragentur macht viele Vorschläge, «aber zum Glück filtert sie die Angebote und schlägt mir nur Dinge vor, die ich bewältigen kann».

Das Programm, das sie im Rahmen der «Neuen Konzertreihe Zürich» singt, ist ganz nach ihrem Geschmack. Händel und Mozart waren die gesetzten Komponisten, und ein weihnächtliches Kolorit sollte das Programm haben. Die Arie «Rejoice greatly» aus Händels «Messiah» darf da nicht fehlen, und Mozarts «Exsultate, jubilate» fügt sich auch problemlos in diesen Zusammenhang. Dass das von Konzertmeister Andrés Gabetta geleitete Orchester auch noch den Furientanz aus Glucks «Don Juan» einfügt, dafür kann die Sängerin nichts.

Lied, Konzert, Oper

Regula Mühlemann bezeichnet sich selber als lyrischen Koloratursopran. «Das Lyrische war das Ursprüngliche», fügt sie an, «die Koloraturen habe ich mir hart erarbeiten müssen.» Vom Repertoire her bewegt sich die 31 Jahre alte Sängerin bisher hauptsächlich im Barock, in der Klassik und in der Frühromantik. Dabei pflegt sie neben Konzertauftritten sowohl das Lied wie auch die Oper. In den ersten zwei Jahren ihrer Karriere, so erinnert sie sich, hat sie nur Opern gesungen und war zehn bis elf Monate unterwegs. Dann hat sie gemerkt, dass ein solches Vagabundenleben nichts für sie ist, und hat angefangen, auch in Konzerten und an Liederabenden aufzutreten. Heute schätzt sie den Mix zwischen den drei Sparten, der ihr Abwechslung bringt und auch ihrer Stimme guttut.

Für die Karriere war indes die Oper am wichtigsten. Angefangen hat die Sängerin mit kleinen Rollen wie Despina in Mozarts «Così fan tutte» oder Giannetta in Donizettis «L’elisir d’amore». 2011 konnte sie in einer «Freischütz»-Verfilmung als Ännchen an der Seite von Stars wie Michael Volle und Juliane Banse mitwirken. Dies erfüllte sie nicht nur mit mächtigem Stolz, sondern bescherte ihr, quasi über Nacht, internationale Aufmerksamkeit, von der sie vorher nur träumen konnte.

An der Pariser Opéra-Bastille musste sie sich vor einigen Jahren noch mit Papagena in Mozarts «Zauberflöte» begnügen. Nun folgte diesen Herbst ein vielbeachtetes Rollendebüt am Genfer Grand Théâtre als Susanna in «Le nozze di Figaro». «Bisher hatte ich für jede Entwicklungsstufe genügend Zeit», sagt Mühlemann, «und die Anfrage für Susanna kam genau im richtigen Moment.» Wie es in der Saison 2018/19 weitergehen soll, will sie noch nicht verraten; aber «das frühromantische Repertoire könnte auch bald in der Oper dazukommen», ergänzt sie.

Verletzliche Privatperson

Ihre Kindheit verbrachte Regula Mühlemann in einer musikalischen Familie im luzernischen Adligenswil. Ihre Mutter besass eine grosse Plattensammlung mit Pop, Rock und Klassischem, und in der Familie wurde viel gesungen. Eine wichtige Rolle spielte die Luzerner Kantorei, wo die Gymnasiastin mit der grossen geistlichen Musik in Kontakt gekommen ist. Der Leiter der Kantorei konnte sie dann zu einer professionellen Sängerinnen-Laufbahn bewegen, und so entschloss sie sich zu einem Studium bei Barbara Locher an der Musikhochschule Luzern.

Auch heute noch ist Luzern der Lebensmittelpunkt der Sängerin. Nach anstrengenden Konzerten und Reisen tankt sie Energie in ihrem vertrauten Umfeld, bei ihrem Partner, ihrer Herkunftsfamilie und ihrem Freundeskreis. Die Familie spielt auch eine wichtige Rolle bei ihren künstlerischen Entscheidungen. Mühlemann ist sich der Gefahr, «verheizt» zu werden, sehr wohl bewusst. Sie lässt sich deshalb in nichts hineindrängen, hinter dem sie nicht voll stehen kann. «Ich bin zu hundert Prozent authentisch», sagt sie – und man glaubt es ihr aufs Wort.

Authentisch ist sie sogar, wenn sie auf ihrer neuesten CD, eingespielt mit dem Barockorchester La Folia unter der Leitung von Robin Peter Müller, die ägyptische Königin Kleopatra mimt. «Die ausgewählten Arien zeigen weniger die männermordende Femme fatale, sondern vor allem die verletzliche Privatperson.» Bei solchen extremen Rollen sucht sie immer nach den Gemeinsamkeiten mit ihrem eigenen Charakter. Die Rollen, auch die Opernrollen, bringen dann manchmal auch dunkle Seiten in ihr zum Klingen. «Auf der Bühne kann ich all das sein», bekannte sie einmal in einem Interview, «was ich selber nicht bin.» Dann schaut sie auf die Uhr, bemerkt, dass in fünf Minuten ihr Schnellzug nach Luzern fährt – und weg ist sie.

Neue Zürcher Zeitung