Luzerner Zeitung

Statt Heidi-Idyll topaktuell: Die Sopranistin Regula ­Mühlemann kehrt von den Weltbühnen zurück zu «Liedern der Heimat».

Regula Mühlemann: Nein, im Gegenteil. Man vermisst ja nur, wovon man getrennt ist. Also hat man auch Heimweh erst in der Fremde. Früher war für mich Luzern so selbstverständlich ein Stück Heimat, dass ich das gar nicht bewusst wahrgenommen habe. Wenn ich heute von einem Engagement oder einer Tournee nach Hause zurückkehre, überkommt mich bei der Einfahrt im Bahnhof Luzern sogar an einem Nebeltag das Gefühl: daheim! Ich bin ja als Sängerin viel in Grossstädten unterwegs und geniesse da das kulturelle Angebot sehr. Aber ich schätze in der Schweiz und in Luzern, abgesehen davon, dass es hier so wunderschön ist, dass ich hier meine Freunde ganz in der Nähe habe.

Wirken Schweizer Städte im Vergleich zu Wien, Berlin oder Paris nicht provinziell?

Nein. An meinem Wohnort Luzern ist ohnehin das Lucerne Festival jeweils ein Highlight. Und letzte Woche besuchte ich das Blues Festival in Luzern, wohin die grössten Blues-Musiker kommen. Auch das ist in der Szene ein Highlight.

Mailand, Paris, Luzern

Die Luzerner Sängerin Regula Mühlemann (33) startete eine steile internationale Karriere, seit sie vor zehn Jahren in Jens Neuberts «Freischütz»-Verfilmung entdeckt wurde. Mit ihrer bezaubernden Mozartstimme tritt sie an den grossen Opernhäusern in Wien, Mailand, Paris oder Berlin sowie als Konzertsängerin mit bedeutenden Dirigenten auf. Letztes Jahr sang sie in Luzern, wo sie noch immer wohnt, erstmals eine Hauptrolle in einer romantischen Oper (Gounods «Roméo et Juliette»). Eine zweite folgt im Februar in Wien, wo sie die Adina in Donizettis «Elisir d’Amore» singt. (mat)

Was fasziniert eine klassische Opernsängerin speziell am Blues?

Nicht nur die Musik, sondern die Art, wie sie auf der Bühne dargeboten und gelebt wird. Wie die Musiker mit dem Publikum kommunizieren und damit die Distanz zwischen Bühne und den Zuhörern aufheben, finde ich fantastisch. Ich wünschte mir, dass wir etwas davon auch für klassische Konzerte lernen könnten, wo die meisten denken, dass man keinen Pieps machen darf. Das ist auch ein Grund, weshalb wir unsere «Lieder der Heimat» in kleineren Konzertsälen aufführen. Da kann man in einem Rezital Nähe besser herstellen als in einem grossen Konzertsaal.

Wie kam Ihnen die Idee, «Heimat» zum Thema zu machen?

Das Thema ist heute omnipräsent. Gesellschaftlich wegen der Flüchtlinge, die ihre Heimat verlassen müssen. Für mich persönlich, weil ich als Sängerin viel unterwegs bin. Und auch angesichts der Globalisierung hat die Frage nach der ureigenen Heimat eine neue Dringlichkeit bekommen. Uns interessierte, womit wir Heimat verbinden: Mit Menschen, mit Orten oder mit der Natur? Letztere stellte sich im Verlauf unseres Projekts als immer wichtiger heraus. Denn die Natur und die Berge spielen in den ausgewählten Liedern eine wichtige Rolle. Natürlich zeigt sich in Titeln wie «Edelwyss» auch ein romantisiertes Heidi-Bild von der Natur und der Schweiz, wie es im 19.Jahrhundert entstanden ist. Aber uns faszinierten die Bezüge, die es von da bis heute gibt.

Zum Beispiel?

Eine Romantisierung sind wohl schon die erwähnten Heimatgefühle bei der Einfahrt in Luzern, weil ein Bahnhof ja eigentlich nichts Schönes ist (lacht). Und wenn ich von Mailand kommend durch den Gotthard fahre, erlebe ich den Urnersee und die Felsen als einen unglaublichen Kraftort, der etwas Mystisches ausstrahlt. Ich verbinde diese Natur mit Heimat, obwohl ich diese Gegend als Kind nur ganz selten gesehen habe. Dazu passt, dass junge Menschen heute Wandern wieder cool finden und viele Musiker der Volksmusik zu einem neuen Boom verhelfen. Insofern sind die Heimat-Lieder erstaunlich aktuell.

Also gibt es in diesen Kunstliedern nicht den einen Schweizer Volkston?

Nein. Die Deutschschweizer Komponisten sind stark vom deutschen Kunstlied der Romantik beeinflusst, für dessen Anfänge auf der CD Lieder von Franz Schubert stehen. Der Zürcher Wilhelm Baumgartner etwa vertonte – wie 120 andere Komponisten – Heinrich Heines Gedicht «Du bist wie eine Blume» und widmete es «hochachtungsvoll Herrn Dr. Robert Schumann». Mit «Noch sind die Tage der Rosen» haben wir aber auch einen damals populären «Schlager» ins Programm aufgenommen. Die «Mélodie francaise» ist vertreten durch die Genfer Komponistin Marguerite Roesgen-Champion, die romanische Sprache mit Liedern von Walter Geiser. Ausgewählt haben wir auch Mundartlieder wie das sehnsüchtige «Plange» des Aarburgers Friedrich Niggli. Weil das Kunstlied in Italien kaum populär war, gibt es auch im Tessin keine solche Tradition. Den italienischen Sprachton bringen Pastorella-Gesänge von Schubert und Rossini mit ein.

Wenn Heimat an Menschen gebunden ist: Wie verträgt sich ihre Partnerschaft in Luzern mit der internationalen Karriere?

Klar muss der Partner kompromissbereit sein. Aber wir nutzen Möglichkeiten, die andere nicht haben. Wenn mein Freund mich im Ausland besuchen kommt, sind das immer auch kleine Ferien. Umgekehrt gib es viele Paare, die zwar vor Ort immer zusammen sind, aber sich wegen ihrer Aktivitäten oder unterschiedlichen und fixen Arbeitsrhythmen kaum sehen. Da bieten meine – und auch seine – unregelmässigen Arbeitszeiten auch Vorteile.