Die Sopranistin Regula Mühlemann ist der neue Schweizer Stern am internationalen Opernhimmel. Eine Begegnung über den Dächern von Bern und ein Tauchgang in die Welt des Barock.

Sie wirkt abwesend mit diesem Blick, der ins Leere zielt. Die Augen sind mondän geschminkt, das schwarze, nicht ganz schulter­lange Haar ist mit goldenem Schmuck versehen. Das Bild gehört nicht zur hochgewachsenen Frau, die wir am Bahnhof ab­holen, sondern zeigt Regula Mühlemann auf dem Cover ihres neuen Albums «Cleopatra».

Die Luzernerin ist eine energiege­ladene Frohnatur mit der Fähigkeit, diese geballte Lebenslust auf andere zu übertragen. Wir treffen die Sopranistin mit der kristallklaren und wandelbaren Stimme auf der Dachterrasse des Hotels Schweizerhof.

Kleopatra als roter Faden

Mühlemanns Augen glänzen, wenn sie über die Dächer von Bern schaut und sagt: «Es ist faszinierend, eine Stadt von oben zu betrachten.» Das Intermezzo ist möglich, weil die Sängerin die Heimfahrt von Genf nach Luzern für einen kurzen Halt unterbricht. Am Genfersee sang sie mit Mozarts «Le nozze di Figaro», eine Oper, die vor kurzem auch in Bern zu sehen war. «Klar, schaue ich mir andere Vorstellungen an», antwortet die 31-Jährige auf die Frage, ob sie auch Zuschauerin ist. «Die Aufführung in Bern war genau mein Ding.» Mühlemanns grosses Ding ist eine historische Figur. Sie lebte von 69 bis 30 vor Christus und war unter dem Namen Kleopatra bekannt.

Waren es beim ersten Album noch Tiefenschürfungen in Mozarts Œuvre, wird Regula Mühlemann für das Konzeptalbum «Cleopatra» zur Archäologin. «Die Arien des Barock faszinieren mich schon länger», sagt sie, «während des Studiums in Luzern entdeckte ich meine Leidenschaft für diese Ära.» Vor zwei Jahren kam dann die Anfrage von Robin Peter Müller, dem Leiter des Barockorchesters La Folia. «Ein Geschenk», sagt Mühlemann und bleibt punkto Erzählfluss im munteren Prestissimo. «Als feststand, dass Kleopatra unser roter Faden sein würde, war ich Feuer und Flamme.»

Eine Arie wie ein Popsong

Die Plattenfirma gab Mühlemann, wie schon bei Mozart, einen Freipass. In fiebriger Fleissarbeit machte sie sich ans Werk. «Ich sichtete mit den Orchestermitgliedern eine Un­menge an Arien aus rund vierzig Barockopern, in denen Kleopatra eine Rolle spielt. Die Ausgrabungen haben sich gelohnt.» Neben Preziosen von Barockmeistern wie Händel oder Vivaldi holte Regula Mühlemann auch verschollene Juwelen aus der Schatz­kammer. Eine davon heisst «Se tu sarai felice» und wurde 1681 von Giovanni Legrenzi komponiert.

«Das Lied tönt wie ein moderner Popsong», schwärmt sie, «ich habe mich sofort verliebt.» Ihre Bewunderung, die ansteckend ist, gilt auch Johann Mattheson (1681–1764). «Man findet kaum Anweisungen zur Orchestrierung», erklärt Mühlemann «wenn am Schluss bei ‹Ruhe sanft, geliebter Geist› die Seele zum Himmel steigt und dabei die Harfe erklingt, dann ist das die Präsentation von mir und La Folia.»

Dem Konzeptalbum mit seinen Perlen, die Regula Mühlemann lustvoll zelebriert, liegen intensive Forschungsarbeiten zugrunde. Das dokumentieren auch ihre Skizzen, die im Booklet abge­bildet sind. Mühlemann verrät: «Zuerst dachte ich, meine Stimme sei zu hell für eine Powerfrau, die auch dunkle Seiten hat. Aber nebst der Härte, die eine Königin demonstrieren muss, war sie auch ein Mensch, der sich verliebt hat. Und sie war Mutter. Die Palette an Emotionen ist enorm breit. Die Blickwinkel der verschiedenen Komponisten halfen uns zusätzlich, den Menschen hinter der Fassade sichtbar zu machen.»

Lebensmittelpunkt Luzern

Macht die gefragte Sängerin bei ihrer «Cleopatra»-Tournee in Bern halt? Regula Mühlemanns zögerliche Antwort wird von einem Schmunzeln begleitet: «Von Luzern aus hätte ich nicht weit. Ausserdem fülle ich meinen Kalender lieber mit Konzerten, weil ich so Kurzreisen machen und nach Hause zurückkehren kann.» Bei Opernproduktionen ist das weniger oft möglich. Die Sopranistin tritt bald in Neapel als Mozarts «Blonde» auf. «Der zeitliche Aufwand für eine neue Opernproduktion ist gross.» Deshalb sei es um so wichtiger, Luzern als Lebensmittelpunkt nicht zu vernachlässigen.

«Hier leben mein Freund Claudio, meine Freunde und Verwandten.» Die jüngere Schwester, die das Downsyndrom hat, nimmt Regula mit an Konzerte, allerdings kaum an die eigenen: «Meine grösste Konkurrentin heisst bei ihr nicht ­Cecilia Bartoli, sondern Beatrice Egli.»

Regula Mühlemann: «Cleopatra – Baroque Arias», Barockorchester La Folia, Robin Peter Müller, Sony Classical.(Berner Zeitung)

Peter Wäch – Berner oberländer